Sabine Tusche – remember
Ausstellung 14.9. – 26.10.2014 in der Ev. Kirche Osterath
Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie sehr herzlich!
Als wir die Ausstellung
planten, überlegten, Sabine Tusches gemalte Schalen und Gefäße in der Erntedankzeit
zu zeigen, musste ich sofort an das Plakat von Brot für die Welt denken: In einer Schale aus unglasiertem Ton
befinden sich ein paar wenige Reiskörner, mehr nicht. Die Zeile darunter
lautet: Weniger ist leer.
Dazu passt auch der
Titel unserer Ausstellung hier – remember: sich erinnern, an etwas denken,
etwas gedenken, sich besinnen. Das Plakat ist ja auch tatsächlich kein
Werbeplakat, sondern ein Aufruf, sich zu besinnen und möglichst zu helfen.
Ich möchte diesen
Aspekt der ungerechten Verteilung von Nahrungsmitteln in der Welt nicht
vertiefen, er ist jedem von uns bekannt; und wir wissen auch, dass wir viel
indirekten Einfluss darauf haben, aber wenig direkten. Wenn, wie kürzlich in
Bayern, tonnenweise Gurken vernichtet werden (1), weil die Ernte „zu“ gut war,
müssen wir das jedenfalls als mangelnde Wertschätzung von Lebensmitteln
erkennen.
Die Wertschätzung des
Essens ist eng verbunden mit einer Kultur des Essens – auf die wiederum rein
praktische Erfordernisse eingewirkt haben: Nahrung muss irgendwie gesammelt,
zubereitet, aufbewahrt werden.
Sie alle kennen das
weite Spektrum, wie Essgefäße aussehen können: Von der rohen hölzernen Schale
bis zum Meissener Porzellan. Und Sie wissen auch, wie oft zur Zeit der Kaffee
aus Wegwerfbechern, der Burger direkt aus der Verpackung genossen wird, und Sie
werden das mit gemischten Gefühlen ansehen.
Indem Sabine Tusche
Schalen und Gefäße malt, lenkt sie unseren Blick, unser „Erinnern“ auf die
Jahrhunderte alte Kultur der Ess- und Trinkgefäße – und natürlich auf die Stilllebenmalerei.
Die geistige Nähe zu
Giorgio Morandi (1890 – 1964), jenem Stillleben-Maler, der fast nur in Weiß-,
Grau- und Beigetönen gemalt hat, und zu Mark Rothko (1903 – 1970), der mit
seinen sensibel nuancierten Farbfeldern im ungegenständlichen Bereich zu Hause
war, ist unübersehbar. Anders als bei Morandi wird man bei Sabine Tusche auch
an das Stillleben der Renaissance erinnert. Bei ihr handelt es sich zwar, im
Unterschied zum arrangierten Stillleben, meist um ein einzelnes Objekt (oder
jedenfalls sehr wenige), weitab von der gemalten Fülle der Renaissance; ihre
symbolische Kraft ist aber ähnlich stark wie bei den alten Stillleben, die man
ja auch erst „lesen“ muss.
Ein bevorzugtes Thema
der Renaissance war die Vanitas, die
Eitelkeit, im Verbund mit der Vergänglichkeit. Das, was wir auf den (rund 450
Jahre) alten Stillleben als Reichhaltigkeit von Gegenständen – Früchte, Blüten,
Musikinstrumente usw. – ansehen, war in Wirklichkeit eine Mahnung, wenn man
will, auch ein remember, an die
Kurzlebigkeit, ans Sterbenmüssen. Musik „verfliegt“ am schnellsten, Früchte
verderben, Blüten vergehen.
Sabine Tusches Erinnern,
Gedenken funktioniert eigenartigerweise so,
dass sie genau den gegensätzlichen Weg geht: Mit ihren Bildern „mahnt“ sie
auch, aber so, dass sie auf das weist, was uns mit unseren Ahnen, was unsere
Kultur mit der anderer Zeiten und anderer Orte verbindet; herausgestellt ist
hier also das Kontinuum, die Verbindung, weniger die Veränderung.
Durch die
Vereinzelung, dazu die deutliche Vergrößerung, verhalten sich Sabine Tusches
Schalen und Gefäße einerseits distanziert zu uns und wirken symbolhaft;
andererseits ist es gerade ihre Symbolkraft, die wiederum mit uns Betrachtern
kommuniziert.
Dabei sind sie
deutlich entfernt von einer pictogrammartigen Zeichenhaftigkeit. Vielmehr ist
das Mittel eine fotografisch genaue Malerei, die sich um jede einzelne Nuance
kümmert, generiert durch verschiedenes Licht zu verschiedenen Tages- und
Jahreszeiten. Man könnte sagen: Auch, wenn sich die äußeren Bedingungen ändern,
so bleibt der Kern dieser archaischen Gegenstände doch derselbe – weil er sich
auf wesentliche Bedürfnisse des Menschen bezieht.
Remember heißt
nun auch „etwas behalten“. So kann man sich auch den Menschen als eine Art
Gefäß vorstellen; dieses Bild kommt auch in der Bibel vor, Gott als Töpfer, der
Mensch als Gefäß (2).
Oder ich erinnere an
die alte Gebetshaltung, die nach oben geöffneten Hände, die den Menschen zu
einem „offenen Gefäß“ machen, aufnahmebereit für Ideen, Anregungen, Aufbruch,
Besinnung. Ja, und auch für Erfüllung.
Sabine Tusches Bilder
sind, bei all ihrer Kraft, auch still und „meditativ“.
Es ist natürlich so,
dass jemand, der ein Bild betrachtet, Gedanken sammelt und Eindrücke erhält behält
– die ihn erfüllen. Die Künstlerin gibt uns in den meisten Fällen keine
Auskunft darüber, ob ihre Schalen und Gefäße je in Gebrauch waren oder nicht,
ob sie immer leer waren oder ausgeleert wurden, vielleicht gereinigt wurden.
So, wie sie hier
präsentiert sind, sehe ich sie wie eine Aufforderung: Wir müssen sie gleichsam
mit unseren Gedanken füllen, Erlebtes assoziieren oder unsere Fantasie spielen
lassen, was uns angesichts der Leichtigkeit, die die Bilder ja auch
ausstrahlen, mühelos gelingen wird.
„Ernte“ kann auch
nicht-materiell sein – wer immer irgendwo kulturell unterwegs ist, reist,
neugierig ist, wird dies bestätigen.
Noch ein paar
biografische Angaben zur Künstlerin: Sabine Tusche stammt aus Düsseldorf (geb.
1961), studierte Visuelle Kommunikation in Krefeld und nahm an der Sommerakademie
in Salzburg teil. Einige Jahre arbeitete sie in der Gemälderestaurierung. Heute
lebt sie im Süden Düsseldorfs als freie Künstlerin mit den Tätigkeitsfeldern
Malerei, Zeichnung und Fotografie. Ihre Arbeiten waren in zahlreichen
Ausstellungen zu sehen.
© Marlies Blauth
(2)
Röm 9, 19 ff