Montag, 25. Februar 2013

Predigt über Johannes 8, 21 – 30





Altar der Ev. Kirche Osterath, dahinter die Arbeit von Ute Schätzmüller
"The void it frightens me"




Predigt über Johannes 8, 21 – 30 gehalten am 24.02.2013 – in der Evangelischen Kirche in Osterath

Vernissage: Zwielichtzeiten




Liebe Gemeinde!

Wer bist du? – Immer wieder werden wir im Leben so gefragt oder fragen auch selbst so.  Dabei kann diese Frage – je nach Situation und Tonlage – neugierig, offen und interessiert oder auch gleichgültig oder sogar abwertend gemeint sein: Wer bist du denn schon?

Wer bist du?

Diese Frage, wenn sie wahrhaftig gestellt ist, eröffnet die Kommunikation zwischen zwei Menschen. Von ihrer Antwort hängt dann ab, wie es weitergeht.

„Wer bist du? Kenne ich dich? Kann ich dir vertrauen?“

Frage und Antwort machen uns deutlich, mit wem wir es zu tun haben und ob eine Beziehung entsteht.

Wer bist du?

Diese Frage kann einem auch durch den Kopf gehen, wenn man die Bilder von Ute Schätzmüller auf sich wirken lässt, die uns in der kommenden Passionszeit hier in der Kirche begleiten werden. 

Sie zeigen Menschen allein. Nicht kommunizierend. Nicht handelnd.

Und doch verleiten sie gerade so mich als Betrachter innerlich zu fragen: Wer bist du, Mensch?

Und gerade so Kontakt aufzunehmen. So können diese Bilder im Vorgang des Betrachtens uns gerade auch das andere zeigen:

Der Mensch ist nicht allein mit seinem Alleinsein.

Er kann kommunizieren. Und daraus kann auch ein Handeln entstehen.

Wer bist du?

Auch Jesus wurde immer wieder so gefragt. Viele Menschen spürten wohl, dass ihnen mit ihm etwas Besonderes begegnete. Eine ganz besondere Verbindung zu Gott.Aber offensichtlich war es oft genug schwer für sie, diese Erfahrung einzuordnen und zusammenzubringen mit all dem, was sie bisher von Gott gehört und gelernt hatten, von ihm dachten und erhofften und erwarteten.

Wer bist du, Jesus?

Diese Frage – in ganz verschiedenen Tonlagen, zieht sich vor allen Dingen auch durch das ganze Johannesevangelium, aus dem unser Predigttext heute stammt.

Und Jesus antwortet in immer neuen Bildern. Zum Beispiel in dem Wort, das uns die Kantorei eben gesungen hat:

Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Diese Antwort gibt er nachts in einem Gespräch einem hohen jüdischen Entscheidungsträger, Nikodemus. Dieser spürt, dass Gott mit Jesus ist und will nun genauer verstehen: Was heißt das? Das Gespräch zeigt dann: er versteht längst nicht alles, was Jesus ihm sagen will. Aber es wächst doch eine Beziehung zu Jesus, die immerhin dazu führt, dass er später versucht ihn zu verteidigen. Und – so erzählt Johannes später ausdrücklich – er nimmt zusammen mit einem anderen Mann nach der Kreuzigung Jesu den Leichnam vom Kreuz ab und beerdigt ihn.

Wer bist Du, Jesus?

An anderen Stellen antwortet Jesus mit klaren Bildern. Zum Beispiel, als er im Tempel in Jerusalem ist und viele Menschen um ihn, Bewunderer und Feinde, Gleichgültige und Engagierte. Da sagt er:

Ich bin das Licht der Welt.

Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.

Manche hören dabei sicherlich mit, was schon der Prophet Jesaja gesagt hat von dem Gottesknecht, der einmal das Heil bringen soll:

Er wird kommen als Licht für die Völker und damit werden allen, die noch blind sind, die Augen geöffnet werden.

Jesus scheint also zu sagen: Mit mir kommt Gottes Heil zu euch.

Andere bleiben weiter skeptisch, halten Jesus gar für gefährlich. Sie werfen ihm vor: Du zeugst ja für dich selbst. Und immer wieder verstehen sie seine Worte nicht. So ist es auch bei dem Gespräch, das sich an seine Aussage: Ich bin das Licht der Welt anschließt.

Wir hören den Predigttext für heute, aus Johannes 8, 21 – 30:



Da sprach Jesus abermals zu ihnen:
Ich gehe hinweg, und ihr werdet mich suchen
und in eurer Sünde sterben.
Wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen.
Da sprachen die Juden:
Will er sich denn selbst töten, dass er sagt:
Wohin ich gehe, da könnt ihr nicht hinkommen?
Und er sprach zu ihnen:
Ihr seid von unten her, ich bin von oben her;
ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt.
Darum habe ich euch gesagt,
dass ihr sterben werdet in euren Sünden;
denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin,
werdet ihr sterben in euren Sünden.
Da fragten sie ihn: Wer bist du denn?
Und Jesus sprach zu ihnen:
Zuerst das, was ich euch auch sage.
Ich habe viel von euch zu reden und zu richten.
Aber der mich gesandt hat, ist wahrhaftig,
und was ich von ihm gehört habe,
das rede ich zu der Welt.
Sie verstanden aber nicht,
dass er zu ihnen vom Vater sprach.
Da sprach Jesus zu ihnen:  
Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet,
dann werdet ihr erkennen,
dass ich es bin und nichts von mir selber tue,
sondern, wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich.
Und der mich gesandt hat, ist mit mir.
Er lässt mich nicht allein;
denn ich tue allezeit, was ihm gefällt.
Als er das sagte, glaubten viele an ihn.



Hart und schroff tönt dieses Gespräch. Oder vielleicht sollte man besser sagen: dieser Schlagabtausch. Die Fronten verhärten sich anscheinend weiter. Dass der Evangelist Johannes dies so lang und breit und immer wieder erzählt, hat vor allem auch mit seiner eigenen Situation zu tun. Denn auch zu seiner Zeit – schon gut 70 Jahre nach Jesu Tod am Kreuz – bleibt für viele Menschen umstritten, wer dieser Jesus nun eigentlich gewesen ist – oder eben bis heute immer weiter ist. In seiner Umgebung blieben offensichtlich die Fronten verhärtet zwischen den christlichen Gemeinden und ihren jüdischen Schwestern und Brüdern. Bis in seine Zeit hinein erkennen viele nicht, wer Jesus wirklich ist und glauben ihm nicht. Und suchen andere Wege zu Gott.

Ja – und bis in unsere Zeit ist das so geblieben. Woran liegt das?Alle Evangelien berichten das auf ihre Weise, dass die Menschen damals eigentlich erst nach Karfreitag und Ostern richtig verstehen konnten, wer dieser Jesus eigentlich ist – für sie und von Gott her.

Auch in diesem Gespräch macht Johannes deutlich – indem er Jesus Worte sagen lässt, die nicht so einfach und direkt zu verstehen sind.

Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und der mich gesandt hat, ist in mir.

Zwar hat Jesus gerade noch selbst gesagt: ‚Ich bin das Licht der Welt‘. Aber offenbar sind im Moment für viele noch Zwielichtzeiten. Ist eben noch längst nicht alles klar erkennbar und deutlich in seinen Konturen und seiner Bedeutung für uns Menschen. Bis hinein in die Sprache ist das hier so.

Das, was später am Kreuz aussehen wird wie die tiefste Erniedrigung eines Menschen, das benennt Jesus in der Erzählung des Johannes hier selbst schon im Vorgriff auf Ostern als Erhöhung.

Dann – erst dann – werdet ihr erkennen, wer ich wirklich bin, scheint Jesus hier zu sagen.

Und zugleich heißt es am Schluss des Gesprächs: Als er das sagte, glaubten viele an ihn.

Und zugleich wird durch das Evangelium des Johannes erkennbar: Auch nach Ostern gibt es weiter viele, die das eben nicht erkennen. Es bleibt offen. Offenbar so, wie ja auch für uns als Betrachter hier bei dem Bild in der Apsis offen bleibt, ob hier vor allem an einen Gekreuzigten zu denken ist, oder mir eher das Wort von der Erhöhung in den Sinn kommt und die nach oben gestreckten Arme vielleicht auf eine Bewegung des Segnens deuten könnten – oder auch die Figur von oben in das Bild hinabkommt. Diese Bilder lassen Raum für verschiedene Sichtweisen.

Wer bist du, Jesus?

Für viele Menschen auch nach Ostern und bis heute bleibt es schwer verständlich, wie Gott und Kreuz denn zusammengehen können. Und sie können nicht erkennen – wie Jesu Gesprächspartner – was das denn mit Gottes Liebe zu tun haben könnte.

Auch das wird schon früh in Bildern deutlich. Schon die erste Darstellung der Kreuzigung Jesu, die uns erhalten ist, zeigt das. Weniger ein Kunstwerk, sondern ein Graffiti, eine auf die Wand einer Kaserne in Rom gemalte Zeichnung. Um ca. 125 n. Chr., etwa 20 Jahre nach der Entstehung des Johannesevangeliums, ist es dort gemalt worden. Da hängt einer am Kreuz. Wir sehen eine menschliche Figur mit ausgebreiteten Armen, festgemacht am Querbalken. Die Füße stehen auf einem kleineren Querholz; soweit entspricht das Bild anderen Darstellungen der Kreuzigung, die wir kennen.

Allerdings: der Kopf des Gekreuzigten ist nicht der Kopf eines Menschen, sondern unverkennbar ein Eselskopf. Darunter steht: Alexamenos betet seinen Gott an.

Ein eindeutiges Spottbild der ersten Stunde offenbar. Denn: wer einen Esel anbetet, der muss ja selber ein noch größerer Esel sein – oder nicht?




Das Bild drückt eine Ansicht aus, die vielen Menschen im Römischen Reich hatten. In einer Umwelt, in der Macht zählte, Männer Ansehen durch militärische Erfolge errangen, Gladiatorenkämpfe die Menschen begeisterten, konnte man nicht erwarten, dass einer, der sich ans Kreuz schlagen lässt, ohne sich zu wehren, besonders gut angesehen war. Warum wollen da Menschen ausgerechnet einem Gekreuzigten nachfolgen?

Das passt nicht in das eigene Bild von der Welt und damit auch nicht in das Bild, das man sich von den Göttern oder von Gott macht.

Und das ist bis heute nicht selten so geblieben. Auch wenn sich über die Jahrhunderte das Christentum ausgebreitet hat in unserer Welt. Und auch wenn Gewöhnung für viele mit der Zeit dem Kreuz seine verstörende Wirkung genommen hat. Trotzdem wird es immer wieder zu dem entscheidenden Punkt für die Erkenntnis, wer Jesus ist.

Wer bist du, Jesus? Wer bist du wirklich?

Zu dieser Frage gehört am Ende – bei allen Worten, die Jesus selbst anbietet, bei allen Antworten, die die Überlieferungen unseres Glaubens uns anbieten können – immer auch eine persönliche Antwort von uns selbst.

Es geht also nicht nur darum, dass mir jemand anderer sagt, und sei es Jesus selbst, wer Jesus ist. Sondern es geht darum, dass ich erkenne und bekenne, wer er denn für mich ist. Die Bibel nennt es Glauben, wenn wir in Jesus den erkennen, der von Gott kommt, der mit Gott ganz eins ist und in dem sich Gott selber uns Menschen mitteilt.

Dass solch ein Bekenntnis zu Jesus auch ganz erhebliche praktische Konsequenzen haben kann, daran erinnert mich immer wieder ein 3. Kunstwerk, das mir zu unserem Predigttext heute eingefallen ist.




Es steht mitten in Wuppertal in der Fußgängerzone. Es besteht aus einem Bronzekubus, der auf einem 1,50 m hohen Sockel angebracht ist. Auf dem Sockel sieht man eine dicht gedrängte Gruppe von Menschen. Eine Hälfte von ihnen schaut in die Höhe und zeigt mit erhobenem rechtem Arm den Hitlergruß. ‚Heil Hitler‘ – wer so grüßt, sagt damit zugleich ja auch, woher er Heil für sich erwartet. Hinter dieser Gruppe stehen andere – sie haben dem Geschehen den Rücken zu gewandt, sich davon abgewendet und blicken nun in Richtung der Gemarker Kirche.

Ja-und-Nein-Sager heißt dieses Kunstwerk von Ulle Hees, das 1984 in Wuppertal aufgestellt wurde – in Erinnerung an die 1. Barmer Bekenntnissynode 1934, ein Jahr nach Hitlers Machtergreifung. Hier trafen sich viele evangelische Christen aus ganz Deutschland, die ihren Glauben nicht gleichschalten lassen wollten. Die sich gemeinsam der Verführung und dem blinden Glauben an die nationalsozialistische Ideologie wiedersetzen wollten. Dazu einigten sie sich auf eine Art neu formuliertes gemeinsames Bekenntnis – die Barmer theologische Erklärung und wies mit den damals in 6 Thesen formulierten biblischen Wahrheiten einen bitter nötigen klaren Weg ‚angesichts der die Kirche verwüstenden Irrtümer‘. Die zentrale erste These dieser Erklärung steht auf den Bronzetafeln, die den Sockel des Kunstwerkes bilden:

"Jesus Christus, wie er uns in der heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben."

Dies Bekenntnis kann und will uns bis heute die Richtung weisen und immer neu unseren Blick schärfen. Darum ist es auch in unseren Gesangbüchern mit abgedruckt. Wer es nachlesen will: ab S. 1377. Und darum steht auch eine Kopie dieses Kunstwerkes im Haus der Kirchenleitung unserer Kirche – genau vor dem Büro des Präses.

Wer bist du, Jesus?

Für uns – so sagten die Menschen in Barmen – bist du das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben."

Und zur Klarstellung heißt es in der Fortsetzung: Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Wort Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.

Damit war klar und eindeutig erklärt, dass ‚Heil‘ nicht von Hitler kommen kann – den so vielen wie einen Heiland verehren wollten. Und dass auch nicht – wie auch viele Christen meinten – das, was da politisch geschah, eine Offenbarung von Gott her sein könne oder, in den Worten, die Hitler selbst oft – zwielichtig vernebelnd – gebrauchte: ein Zeichen der Vorsehung.

Denn: Jesus Christus ist das eine – und für uns einzige – Wort Gottes.

Dies Bekenntnis hat damals vielen Christen geholfen und ihnen Mut gemacht, sich im Kirchenkampf gegen Übergriffe auf ihren Glauben zur Wehr zu setzen und auch Verfolgung zu riskieren und durchzustehen. Oft genug wurden Pfarrer damals bei Predigten abgehört von der politischen Polizei und dann nicht selten auch verhaftet und eingeschüchtert.

In solchen Situationen bekam dann das Kreuz, das Zeichen tiefsten Leidens, durch das Jesus selbst gehen musste, durch das hindurch er aber bis zum Schluss auch gehalten wurde von Gott, seinem Vater, -.. in solchen Situationen bekam das Kreuz für die bedrängten Christen oft eine noch tiefere, tröstliche Bedeutung.

Wer bist du, Jesus?

Wer bist du für uns, für mich, in dieser Passionszeit im Jahr 2013, in der wir einmal mehr dem nachspüren, was dein Weg durch diese Welt und für uns bedeuten kann und will.

Die Gespräche, von denen uns das Johannesevangelium immer wieder erzählt, zeigen uns, dass diese Frage schon damals und bis heute von Menschen unterschiedlich beantwortet wird. Und das Barmer Bekenntnis kann uns vor Augen führen, dass unsere Antworten auf diese Frage bis heute auch ganz praktische Konsequenzen haben können. Nicht nur im persönlichen Leben, sondern tief bis in das politische Zusammenleben hinein.

Wer bist du, Jesus? Es bleibt ein Geschenk des Glaubens, wenn wir darauf immer neu bekennen können:

Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht, Christus, meine Zuversicht, auf Dich vertrau ich und fürcht mich nicht auf Dich vertrau ich und fürcht mich nicht. Amen.



Pfarrer Gerhard Saß